„Leben ohne Heimat"

„Leben ohne Heimat"

Der Frühling war schon ins geheimnisvolle Teheran gezogen, aber war die alte Stadt aus dem Winterschlaf noch nicht erwacht, als könnten schwache Sonnenstrahlen es nicht erwärmen. Übrigens war die täuschende Wärme für das alte Teheran nicht von großer Bedeutung. Das Leben in der alten, einem brodelnden Kessel gleichenden Stadt erinnerte einen ohnedies an einen Sturm. Das Teehaus in der Straße, in der Aserbaidschaner wohnten, war in Teheran der 53er Jahre sehr bekannt. Nicht nur darum, dass es dort der beste Tee der Welt nebst den Süßigkeiten, Rosinen und Dörrobst angeboten wurde, noch darum, dass es ein Lokal war, in dem viele aserbaidschanische Einwanderer und Künstler zusammenkamen. Heute Nacht ist es auch viel Betrieb im Teehaus. Ein Musikantentrio saß in der Ecke des vom Pfeifenqualm verrauchten Zimmers und spielte alte aserbaidschanische Mugam-Stücke. Mit angehaltenem Atem hörten alle die verbitterte Stimme des 86-jährigen Sängers mit zitternden Fingern. Trotz Alter hat sich seine Stimme noch nicht verändert, und sein Herz voller Sehnsucht nach der Heimat war noch nicht erschöpft. Die meisten Zuhörer konnten die Tränen nicht zurückhalten, und auch der Sänger selber. Das Einzige, was den Alten aufrechthielt, war die Liebe zur Kunst. Er war von dem Klang nationaler Musikinstrumente Tar und Kaman geprägt und den verzaubernden Ghaselen begeistert. Liebe und Mitgefühl der sehnsüchtigen Menschen um ihn war doch der beste Trost für ihn. Der alte Sänger war sicher, dass seine Lieder für diese vom Heimweh geplagten Menschen wichtiger als Essen und Trinken waren. Seit Jahren lebte er selbst von den gespendeten Groschen. Und übrigens ohne Heimat…

Aber nicht alle Teehausgäste wussten, dass dieser „Sejid Aga" genannte Alte einst bekannter Sänger und Millionär Sejid Mirbabajev war.

Er wurde 1867 in die Familie eines Elegien-Sängers geboren und wurde selber als Sänger bekannt. Im Jahr 1906 wurde er von der Plattenfirma „Grammofon" nach Riga und Warschau eingeladen. Seine Platten verkauften sich um teuren Preis. Auf der Hochzeit des Sohnes eines Millionärs wurde ihm vom Onkel des Bräutigams ein Grundstück geschenkt, auf dem Bohrungsarbeiten für Erdölgewinnung geführt wurden. Kurz später quoll das Erdöl aus dem Bohrloch an die Erdoberfläche, und wurde er schließlich zum Millionär. Nachdem er zu großem Vermögen gelangt war, schämte er sich schon für seinen vorherigen Beruf und kaufte seine Platten und zerbrach sie. Er war schon vom Reichtum und Luxus geblendet. Auf Ratschlag des bekannten Wohltäters Zeynalabdin Taghiyev kaufte er eines der schönsten Gebäude in Baku. Mit dem Ausbruch der Revolution musste er aber wie alle anderen Grundstückbesitzer ihre Heimat verlassen und nach Paris ziehen. All sein Vermögen, das er mitnahm, brachte er in kürzester Zeit in Frankreich durch. Heruntergekommen bummelte der verarmte Millionär durch die Straßen von Paris und traf dabei Teymurbey, den bekannten Angehörigen der Familie Aschurbeylis. Teymurbey brachte ihn nach Teheran mit, und seine Söhne und er kümmerten sich dort um ihn.

Für alten Sänger war dieses kleine Teehaus im Zentrum von Teheran schon ein Teil von Aserbaidschan. Er hat bereits verstanden, dass sein Leben nicht genug lang war, die Heimat wieder zu besuchen. Im Jahre 1953 starb er im Alter von 86 Jahren in Teheran.     

 

                                                                                                   Farhad Sabiroqlu

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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