Der Nebel übernachtet auf der Insel

Der Nebel übernachtet auf der Insel

Ein kalter Februarmorgen des Jahres 1915. Der von der Mitternacht tobende Nordwind ließ morgen früh nach. Die ersten Strahlen der Sonne glühten auf und widerspiegelten sich in den wechselnden Gewässern der Bakuer Bucht. Die Stadt war gerade erst aufgewacht, trotzdem hat sich der Hafen die ganze Nacht keinen Atem geschöpft. Frachtwagen wurden am Ufer ein und ausgeladen. Und umständlich verließen voll beladene Schiffe den Hafen. In der Nähe des großen Boots, das in der anderen Ecke des Hafens verankert war und vom Wind zum Schwanken gebracht wurde, war auch viel Betrieb. Die auf den Pferdefahrzeugen gebrachten Güter wurden ins Boot geladen.           

Arbeitsaufseher trieb die Arbeiter zur Eile an. Ein Kutschwagen näherte sich dem Ladeplatz zu, und die Polizisten, die am Hafen Wache hielten, machten ihm Militärgruß im Vorbeifahren. Auf dem Hintersitz saß eine Frau mittleren Alters, die zum Schutz vor Wind den Kragen ihres Pelzmantels hochgeschlagen hat. Nicht nur am Hafen, sondern in der Stadt kannten alle sie sehr gut. Das war Sona Hanum Hadschijeva, die Frau des reichen Eigentümers und des Mitglieds der Staatsduma Israfil Hadschijev. Sie besaß hier ein teures Boot. In der Stadt hat sie auch als eine ausgebildete Patriotin Ruhm gemacht. Sie ist außerdem Leiterin der Wohltätigkeitsgesellschaft muslimischer Frauen, die von ihr selbst gegründet wurde. Sie organisiert Wohltätigkeitsaktionen, zu denen viele reiche Menschen eingeladen werden und sammelt viel Geld. Und hiermit leistet sie den Armen finanzielle Hilfe und baut Schulgebäude für verlassene Kinder auf.  

Kurze Information: Die Insel Zire liegt 10,5 km entfernt von der Bakuer Uferlinie. Die Fläche der Insel beträgt 1,5 km2. Die maximale Länge der Insel ist 3,2 km, und die Breite beträgt maximal 900 m. Die Oberfläche der Insel ist felsig.

Auf der Insel wurde der erste Leuchtturm am 11.Dezember 1884 aufgebaut. Wegen der Aufklärungsflüge von Nazi-Flugzeugen wurde er vom russischen Militärkommando zerstört. Nach 17 Jahren im Jahre 1958 wurde der Leuchtturm restauriert. Er ist 18 Meter hoch.

Zur Zeit des russischen Zaren Peter I. wurde die Insel in Nargin umbenannt. Dieser Name wurde ihr für Ähnlichkeit zur Insel Nargin (Estenco-Meerenge) im Finnischen Meerbusen gegeben. Nachdem das Land seine Unabhängigkeit von der Sowjetunion erklärt hatte, wurde sie wieder in Zire umbenannt. Soldaten, die im Ersten Weltkrieg an der türkischen Front in die russische Hand gefallen waren, wurden auf Zire gebracht und dort der Folter ausgesetzt. Viele historische Quellen belegen, dass die meisten Gefangenen durch Hunger, Durst und Schlangenbiss ums Leben gekommen waren. Viele von ihnen wurden aber direkt von den armenischen Verrätern erschossen. Es gibt viele historische Belege über schreckliche Folterung der Türken durch armenische Soldaten und Offiziere, die damals mit den Russen kooperierten. Einigen historischen Angaben zufolge wurden auf der Insel 1000 türkische Soldaten umgebracht. Bei den russischen Repressionen und Terror an Aserbaidschanern wurden im Jahre 1937-38 viele Intellektuelle auf der Insel ermordet.

Als der Erste Weltkrieg ausbrach, wollte sich die Türkei dem Krieg nicht anschließen. Selbstverständlich hat Türkei auf Druck der Alliierten und besonders Deutschlands dem Krieg beitreten sollen.

Im Dezember 1914 wurde Kaukasische Front eröffnet. An der türkischen Grenze zu Kaukasus war schon Krieg. Neben den Soldaten wurden zwar die Zivilisten, Greise, Kinder und Kranken von den Russen in den Städten Sarikamisch, Igdir, Erzurum, Ardahan, Trabzon gefangen genommen. Türken wurden in die Internierungslager in 22 Distrikten Russlands geschickt. Eines von diesen Lagern befand sich auf Zira (Nargin). Unterbringung von türkischen Gefangenen auf der Insel sorgte in Baku für große Unruhe. Zahlreiche Intellektuelle protestierten dagegen. Darunter waren M. A. Resulzade, A. Toptschubaschov, N. Yusifbeyli und andere.

Diesbezüglich richteten A. Toptschubaschov und A. Rafibeyli mehrmals Petitionen an die Kaukasische Statthalterschaft.  

In der Petition heißt es: „Geben Sie uns Ermächtigung, sich um das Schicksal der gefangengenommenen Zivilisten zu kümmern und ihnen Hilfe zu leisten."

Die Petition wurde aber leider von der Kaukasischen Statthalterschaft abgelehnt. Und daraufhin wurde Aliakber Bey Rafibeyli ziemlich genervt und sagte dem Statthalter: „Wir aserbaidschanische Türken dienen Ihnen treue. Sie führen den Kampf gegen das osmanische Reich. Das ist Ihre Sache. Aber erlauben Sie uns den türkischen Gefangenen zu helfen, damit sie durch Vernachlässigung nicht ums Leben gekommen wären. Mindestens müssen wir ihnen bei der Verhüllung und Beerdigung der Leichname helfen."

Aliakber Bey hatte einen großen Einfluss im Lande. Nämlich durch seine Beharrlichkeit konnte man Erlaubnis bekommen. Gemeinsam mit seinem Bruder gründete er das Internationale Zentrum in der Stadt Gendsche. Chosrov Pascha Sultanov wurde Leiter des Zentrums für Unterstützung der Gefangenen.  

In Baku waren viele freidenkende Frauen wie Sona Hanum. Sie organisierten Wohltätigkeitsorganisationen und halfen den Armen, Obdachlosen und verlassenen Kindern. Darüber hinaus betreuten sie Gefangene und Verletzte.

Die Rede von Nariman Narimanov in der Duma sorgte für Unruhe:

„Sehr geehrte Abgeordnete, die Lage der türkischen Gefangenen ist unerträglich. Wir müssen uns um sie kümmern. Armenische Offiziere schlagen, foltern und beleidigen sie. Jeden Tag kommen durch ihre grausamen und verräterischen Handlungen 30-40 Gefangene ums Leben. Darunter sind auch Kinder und Frauen. Wo ist eure Menschlichkeit geblieben? Ich will euch über eine schreckliche Tatsache in Kenntnis setzen. Die im Insel-Gefängnis Zire tätigen, armenischen Ärzte haben etwa 400 türkischen Gefangenen, denen angeblich Augen behandelt werden sollten, absichtlich die Augen geblendet. Warum kamen diese Verbrecher bislang unbestraft davon?"

Narimanovs feurige Rede in der Duma erweckte Wut bei den proarmenischen Abgeordneten. Einer von ihnen sagte zwar in seiner Rede: „Narimanov und seine Anhänger wollen aus dem Krieg ihren Nutzen ziehen und das nationale Gefühl des Volkes erwecken. Für Kaukasus und Baku verheißen diese Reden nur Gefahr. Das Volk hält die Türken für ihre Retter und erwartet, von ihnen aus der russischen Gefangenschaft befreit zu werden. Diese Ideen können das Volk zum Widerstand gegen den Zaren aufwiegeln".

Reiche Menschen wie Agababa Guliyev, Ismayil Bey Seferelibeyov, Murtuza Muxtarov leisteten finanzielle und auch moralische Unterstützung von türkischen Gefangenen. Gemeinsam mit seinen Töchtern kümmerte um die Gefangenen auch der bekannte Bakuer Millionär Hadschi Zeynalabdin Tagiyev.

Zweifellos zog dies alles die Aufmerksamkeit der russischen Geheimdienste auf sich. In einem Denunziationsbrief von einem Armenier mit Nachnamen Akopyan hieß es: „Aserbaidschanische Intellektuelle helfen den türkischen Gefangenen und befreien sie aus der Gefangenschaft".

Diesbezüglich wurden auch Ermittlungen gegen Sona Hanum eingeleitet. Wenn immer diese selbstlose Frau das Insel-Gefängnis Zire besuchte, bestach sie russische Soldaten mit Geld und teuren Geschenken und brachte einige Gefangene mit nach Hause oder unterbrachte sie im „Isamilliye"-Gebäude. Sie gab ihnen neue Kleider und besorgte für sie falsche Papiere und führte sie in den Iran. Von dort aus fuhren sie in die Türkei.      

 

                                                                                     Farhad Sabiroglu

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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